Wenn das «-ic» den Wahlerfolg verhindert

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Neue Zürcher Zeitung, 20.1.2018. PDF

Lukas Leuzinger

Der Erfolg lag in Griffweite. Bei den ­Gemeinderatswahlen 2014 in der Stadt Zürich startete die FDP-Kandidatin Tatjana Tankosic im Kreis 3 vom aussichtsreichen dritten Listenplatz ins Rennen. Am Ende holte ihre Partei zwei Sitze, doch die Personalfachfrau schaffte die Wahl nicht – sie fiel auf der FDP-Liste auf den siebten Platz (von fünfzehn) zurück.

Sie sei wohl bei vielen Wählern im Kreis 3 zu wenig bekannt gewesen, mutmasst die Präsidentin der Stadtzürcher FDP-Frauen rückblickend. Aber Tan­­ko­sic sieht noch einen anderen Grund für das enttäuschende Resultat: «Der Name spielte sicher eine Rolle.» Kandidaten, die keinen schweizerischen Namen hätten, würden eher von Listen gestrichen, sagt die in der Schweiz geborene serbische Seconda. Und bei Gemeinderatswahlen reichten schon ein paar Wählerstimmen weniger, um in der Liste nach hinten zu rutschen.

Schwieriger Nachweis

Dass Kandidaten ausländischer Herkunft bei Wahlen diskriminiert werden, hört man oft – nicht nur in der Schweiz. So stellte eine Studie in Grossbritannien fest, dass Personen mit aussereuropäischen Namen bei Lokalwahlen im Schnitt rund 5 Prozentpunkte schlechter abschneiden als solche mit typisch britischen Namen. Daraus lässt sich aber nicht ohne weiteres eine Diskriminierung ableiten. Schliesslich gibt es unzählige Faktoren, die darüber entscheiden, welchen Namen wir auf den Wahlzettel schreiben, etwa die Bekanntheit eines Kandidaten, seine Wahlkampfausgaben oder die politischen Positionen.

In einer kürzlich publizierten Untersuchung1 haben die Politikwissenschafter Lea Portmann und Nenad Stojanovic von der Universität Luzern versucht, den Einfluss des Namens auf die Wahlchancen zu messen. Sie bedienten sich dabei einer Spezialität des Schweizer Proporzwahlsystems: Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern können die Wähler hierzulande nicht nur zwischen den Listen verschiedener Parteien wählen, sondern diese Listen auch verändern und Kandidaten hinzufügen beziehungsweise streichen. Das Total der erhaltenen Kandidatenstimmen eines Kandidaten bestimmt die Platzierung innerhalb der Liste.

Während der Entscheid, einen Kandidaten auf eine Liste zu schreiben, durch Faktoren wie die Bekanntheit beeinflusst wird, ist dies beim Streichen kaum der Fall. Sollte es tatsächlich eine Diskriminierung geben, sollte sie also bei den durchgestrichenen Namen sichtbar sein.

Die Forscher konnten für ihre Untersuchung auf die Daten von 45 000 veränderten Listen zurückgreifen, die bei Parlamentswahlen in sechs Zürcher Gemeinden (Adliswil, Bülach, Dietikon, Wädenswil, Winterthur und Zürich) im Jahr 2014 abgegeben wurden. Im Schnitt warfen etwas mehr als ein Drittel der Wähler in diesen Gemeinden eine veränderte Liste ein. Insgesamt standen 1633 Kandidaten zur Wahl. Portmann und Stojanovic verglichen deren Namen mit historischen Namensregistern und teilten sie ein in Namen, die bereits vor 1962 in einem Schweizer Bürgerrechtsbuch aufgetaucht waren, und solchen, die erst später dazukamen. Gemäss dieser Kategorisierung trugen 13 Prozent der Kandidierenden einen fremdländischen Namen.

Die statistische Untersuchung zeigte, dass diese Namen deutlich häufiger gestrichen wurden als jene anderer Kandidaten. Im Schnitt verloren sie rund 1,4 Plätze auf ihrer Liste. Etwa die Hälfte des gefundenen Effekts lässt sich durch andere Faktoren wie Listenplatz, Bisherigen-Status, Alter oder Beruf erklären. Doch auch wenn man diese Einflüsse berücksichtigt, haben Kandidaten mit ausländischen Namen eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit, von einer Liste gestrichen zu werden, als vergleichbare Konkurrenten. Allerdings ist der Effekt nicht bei allen Parteien in gleichem Mass zu beobachten: Auf Listen von Parteien rechts der Mitte, insbesondere der SVP, aber auch der FDP, haben Kandidaten ohne schweizerischen Namen deutlich mehr Mühe als auf Listen linker Parteien.

Herkunftsland ohne Bedeutung

Interessanterweise spielt für die Erfolgschancen von ausländischen Namen das Herkunftsland kaum eine Rolle. Namen aus Nachbarländern wie Deutschland, Frankreich oder Italien, die schwer von Schweizer Namen zu unterscheiden sind, wurden etwa gleich häufig gestrichen wie solche aus anderen Regionen.

Die Untersuchung zeigt darüber hinaus, dass Kandidaten mit ausländischen Namen innerhalb von Listen seltener kumuliert werden (bei den Panaschierstimmen auf anderen Listen zeigen sich keine signifikanten Unterschiede). Die Autoren sehen in den Ergebnissen daher deutliche Hinweise, dass Diskriminierung aufgrund der Namensherkunft bei Wahlen eine Rolle spielt. Zu untersuchen bleibt, ob sich die festgestellten Effekte auch in anderen Kantonen und bei Wahlen auf höheren Ebenen beobachten lassen.

Immerhin: Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts stellt die Studie keine fest – Frauen und Männer wurden gleich häufig von den Listen gestrichen. Dass weniger Frauen als Männer gewählt wurden, liegt allein daran, dass weniger Frauen kandidierten.

Bei den Gemeinderatswahlen am 4. März tritt Tatjana Tankosic nochmals an, diesmal auf Listenplatz dreizehn und ohne Ambitionen auf einen Sitz. Es sei Zeit, den Jüngeren den Vortritt zu lassen, so die 52-Jährige. «Ich kandidiere vor allem, um zu zeigen, dass es Leute mit Migrationshintergrund nicht nur in linken Parteien gibt.» Sie sehe sich «ein wenig als Aushängeschild».

1 Lea Portmann und Nenad Stojanovic: Electoral discrimination against immigrant-origin candidates, Political Behavior.

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